Netherton Syndrom
Zuletzt aktualisiert: 2023-10-12
Autor(en): Lindemann H.
ICD11: Q80.8
Zuletzt aktualisiert: 2023-10-12
Autor(en): Lindemann H.
ICD11: Q80.8
Comel, 1949; Netherton, 1958
Comel-Netherton-Syndrom, Ichtyosis linearis circumflexa (Rille-Comel) and trichorrhexis invaginata, Erythroderma ichtyoseform congenitum, Bambushaar-Syndrom, Tichorrhexis Syndrom, SPINK Krankheit, OMIM: 256500
Das Netherton-Syndrom ist eine seltene autosomal-rezessiv vererbte Genodermatose, welche durch ein Zusammentreffen von Ichtyosis linearis circumflexa, strukturellen Haarschaftanomalien, Gedeihstörungen, einem Immundefizit und erhöhten IgE-Spiegeln gekennzeichnet ist. Es kann zu zerebralen Krampfanfällen und Oligophrenie kommen.
Die Inzidenz liegt bei 1:200.000.
Bis heute sind etwa 150 Patienten weltweit mit Netherton-Syndrom beschrieben worden.
Es wird geschätzt, dass die Prävalenz des Netherton-Syndroms bis zu 1:100.000 oder 1:50.000 betragen kann. Als Grund hierfür gilt eine geringe diagnostische Sensitivität, welche aus variablen Phänotypen und Überschneidungen mit verschiedenen Ichthyosen und der atopischen Dermatitis resultiert.
Nachgewiesen wurden biallelische Mutationen im Gen des Serinprotease-Inhibitors Kazal Typ 5 (SPINK5), welches für den Multidomänen-Serinprotease-Inhibitor LEKTI kodiert. Es kommt zu einem vorzeitigen Abbruch der mRNA-Translation oder Missense-Mutationen führen zu Beeinträchtigungen des LEKTI Proteins. Der LEKTI-Mangel verursacht eine überschießende Serin-Proteasefunktion.
LEKTI konnte in Epithelien, Thymus, Trachea, Tonsillen, Nebenschilddrüse, Stratum corneum und Stratum granulosum, aber auch in Hautanhangsgebilden nachgewiesen werden.
Durch die Mutation des SPINK5-Gens kommt es in der Haut kommt es zu einem beschleunigten Abbau von Desmoglein 1 und Desmosomen. Hornzellen lösen sich ab. Dadurch entstehen Risse im Stratum corneum und Allergene können erleichtert durch die gestörte Hautbarriere eindringen.
Im Thymus zeigt sich eine fehlerhafte T-Zell-Differenzierung, wodurch es zu einer unbalanzierten Th2-Antwort und einer stark erhöhten IgE-Konzentration kommt.
Histochemisch konnte eine verringerte Anzahl von Disulfidbindungen in Haarschäften ermittelt werden, wodurch fehlerhafte Haarstrukturen entstehen.
Oftmals zeigt sich bereits kurz nach der Geburt eine kongenitale ichtyotische Erythrodermie.
In der Mehrheit der Fälle entwickeln sich die Symptome mit zunehmendem Lebensalter zurück und werden klinisch als Ichthyosis linearis circumflexa beschrieben. Es zeigen sich am Stamm und an den Extremitäten ringförmige Schuppungen und erythematöse Plaques, die typischerweise von einer zweischneidigen Schuppenleiste gesäumt sind. Eine Kopfhautbeteiligung ist häufig.
Obligat sind Rhagaden im Mundwinkel, Papillome im Genitalbereich, eine Alopezie und Haarschaftanomalien (Trichorrhexis invaginata (Bambushaare), Trichorrhexis nodosa, Pili torti). Haarstrukturschäden können in unterschiedlicher Schwere vorliegen und bessern sich häufig mit zunehmendem Lebensalter.
Durch einen ausgeprägten Juckreiz entwickeln viele Patienten Lichenifikationen in den Beugeseiten und ekzematöse Plaques.
Oftmals bestehen Typ I Sensibilisierungen auf Umweltallergene und Nahrungsmittel.
Immunhistologische Färbungen mit LEKTI-Antikörpern.
Molekulargenetische Tests des SPINK5-Gens.
Eine pränatal Diagnostik in Familie mit bekannten SPINK5-Mutationen kann mittels Chorionzottenbiopsie (ab der 10. SSW) erfolgen.
Bei Kindern zeigen sich ausgeprägte Hautveränderungen, welche den gesamten Körper betreffen können.
Mit zunehmendem Alter sind vorwiegend der Stamm und die Extremitäten betroffen. Die Kopfhaut kann mitbeteiligt sein.
Es zeigt sich eine abnormale Abspaltung im oberflächlichen Stratum corneum bei fehlendem Stratum grangulosum. Typischerweise kann eine psoriasiforme Epitehlreaktion mit Parakeratosen erkannt werden.
In der oberen Dermis kann es zu perivaskulären Infiltraten mit einzelnen neutrophilen und eosinophilen Granulozyten kommen.
In der Transmissionselektronenmikroskopie der Haarschäfte zeigen sich Spaltungen und fehlerhafte Verhornungen, sowie elektronendichte Ablagerungen in der Kortikalis.
Komplikationen resultieren insbesondere aus einer gestörten Hautbarriere und dem häufigen kongenitalen Immundefekt.
Etwa 20% der Neugeborenen entwickeln potenziell lebensbedrohliche Komplikationen wie Dehydrationen, Elektrolytstörungen, Gedeihstörungen, eine gestörte Thermoregulation, Lungenentzündungen oder Sepsis.
Im Verlauf kann es zu rezidivierenden Superinfektionen kommen.
Bei der Mehrheit der Patienten kommt es mit zunehmendem Lebensalter zu einer Abnahme der klinischen Symptome.
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Neugeborene mit ausgeprägten Hautbefunden haben ein hohes Risiko auf Grund der gestörten Hautbarriere schwerwiegende Komplikationen zu erfahren und sollten nach Bedarf intensivmedizinisch betreut werden können. Gedeihstörungen und Enteropathien erfordern möglicherweise eine Ernährungsunterstützung.
Als externe keratolytische Therapeutika bewähren sich Harnstoff-/ Polidocanol-/ Milchsäure-/ Ammoniumlaktat-haltige Cremes, Salben oder Lotionen.
Lokale Therapien mit Retinoiden (bspw. Tayarotene) oder Tacrolimus (Protopic) können versucht werden.
Systemisch wirken Retinoide (bspw. Acitretin) positiv auf Haut- und Haarveränderungen.
Eine PUVA-, UVA1- oder Balneophototherapie können therapeutische Erfolge erzielen.
Orale Antihistaminika helfen einen Pruritus zu mildern.
Im Off-Label-Use zeigen Einzelfallberichte eine gute Wirksamkeit von Dupilumab. Hier entspricht die Dosierung der der zugelassenen Dosierung für die atopische Dermatitis (initial 600mg s.c., gefolgt von allen 14 Tage 300mg). Auch Secukinumab wurde schon erfolgreich eingesetzt.